Heuchlerische Empörung

MARKT 6.4.3011

Kaninchenschlachtung als Schulunterricht: pädagogisch sinnvoll – didaktisch misslungen !?

Es war die mediale Aufregung in der letzten Woche schlechthin. In einem „Steinzeitprojekt“ einer fünften Klasse in Ratekau wurde  ein Kaninchen gestreichelt, getötet, ausgeweidet, gegrillt und gegessen. Es hagelte Kritik bis hin zu Anzeigen gegen den Schulleiter und den „Schlachter“. Als Grüner, Bio-Landwirt, Agrarwissenschaftler und Vegetarier finde ich diese Aufregungen in vielen Teilen heuchlerisch. Auch ich sehe die Aktion als didaktisch misslungen an, jedoch ist das Thema pädagogisch sinnvoll.

 

Das Kinder, Jugendliche und viele Erwachsene nicht wissen, wie Tiere gehalten, transportiert, geschlachtet, verwurstet und zerschnitten werden, bis sie als Schnitzel, Bratwurst, Burger oder „Kinderwurst mit Smily“ in ihrem Magen landen, ist für eine aufgeklärte Gesellschaft ein Bildungsdefizit. Jedes Jahr werden in Deutschland fast 8 Millionen (!) Tonnen Fleisch produziert (fast 100 kg pro Einwohner; gegessen werden davon über 60 kg, der Rest landet sonst wo). Dafür müssen mehrere 100 Millionen Hühner, Puten, Enten, Schweine, Rinder, Fische, Pferde und eben auch Kaninchen (jeder von uns isst durchschnittlich ein halbes Kaninchen im Jahr) ihr Leben lassen (rund 5 Schlachttiere pro Einwohner pro Jahr). Die meisten davon werden vorher nicht unter tiergemäßen Bedingungen gehalten, transportiert oder getötet. Das Leiden der Tiere geschieht das gesamte Leben, wenn auch legal (obwohl unser Grundgesetz Leiden von Tieren verbietet). Die Menschen wollen und sollen die reale Fleischproduktion nicht sehen: Besuche in Stallungen und Schlachthöfe sind fast unmöglich für den gemeinen Bürger. Anonymes Fleisch kann billiger produziert werden. Blutiges Fleisch oder Fett am Schnitzel sind ekelig und trotzdem wird viel zu viel „totes Tier“ gegessen. Dieses wird auch als „Entbiologisierung der Gesellschaft“ bezeichnet: „Denn sie wissen nicht was sie essen“ oder „Denn sie sollen nicht wissen, was sie essen“. Klonfleisch ist der nächste Schritt.

 

Die Kaninchenschlachtung in Ratekau mit Fünftklässlern wurde didaktisch falsch vorbereitet und durchgeführt. Dieses kann unvorbereiteten Kindern einen Schock versetzen, selbst wenn viele Kinder durch Fernseher und Computer „gewalterprobt“ sind. Das geschlachtete Kaninchen hatte aber vielleicht ein wesentlich würdevolleres Leben vor dem Tod als viele Artgenossen. In intensiven Kaninchenmastanlagen werden Tausende von diesen „Kuschelkaninchen“ in Drahtkäfigen gehalten; die Mütter dieser Gemeinschaftstiere in Einzelhaltung. Dort gebären sie „am Fließband“ Junge, bis sie erschöpft sind. Als Dank gibt es keine Rente sondern das Schlachtband. Ihre Jungen wachsen schnell und werden bereits nach einigen Wochen „Leben“ geschlachtet, dabei können Kaninchen bis zu 9 Jahre alt werden. Dieses ist die Wirklichkeit und grausam. Das sollten Kaninchenesser wissen.

 

Eine reale Darstellung der Haltung und Tötung von Nutztieren im Unterricht wäre ein Bildungsauftrag, damit dieses nicht reißerischen Medienberichten alleine überlassen bleibt. Es geht schließlich um unser Essen.

 

 

Gerold Rahmann

Grüner Stormarner Kreistags- und Oldesloer Stadtverordneter

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