Toleranz für Intoleranz?

MARKT 22-2-12


Vor genau 70 Jahren gab es die Wannsee-Konferenz, auf der die Nazischergen die "Endlösung der Judenfrage" durch industrielle Vernichtung von 6 Millionen Juden beschlossen hatten. Vor genau 70 Jahren hatte die deutsche Wehrmacht Leningrad eingekreist und - statt die Stadt zu besetzen -  im zweitkältesten Winter des letzten Jahrhunderts über 1 Million Einwohner verhungern und erfrieren lassen - das größte Militärverbrechen der gesamten Geschichte! Ich habe durch diesen Krieg, der Land im Osten erobern sollte, meine Heimat im Osten Deutschlands verloren und viele in meiner Familie haben auf der Flucht ihre Gesundheit ruiniert, mein behinderter Bruder wäre fast in einer der Euthanasie-Anstalten gelandet..
Ich hatte bis vor kurzer Zeit immer geglaubt, die Deutschen hätten ihre Lektion gelernt, was Faschismus betrifft.

Ich konnte es deshalb zunächst überhaupt nicht fassen, dass nach der jüngsten Erhebung der Bundesregierung etwa 20% der Deutschen latent antisemitisch sind, dass 10 Jahre lang unentdeckt Neonazis durch Deutschland gezogen sind und dabei aus dem Ausland stammende Mitbürger ermordet haben, dass Neonazis sogar in Stormarn und Lauenburg ihr Unwesen treiben.

Ich kann es zwar nachempfinden, dass manche Deutsche fremdeln, wenn ihnen Menschen anderer Hautfarbe oder anderer Sprache begegnen. Das ist eine instinktive Reaktion, die uns die Evolution in die Wiege gelegt hat. Aber wie das Daumenlutschen kann man sich auch diese Primitivhandlung per intellektueller Leistung oder durch einfache soziale Kontakte mit anderen Mitmenschen abgewöhnen.
Diese Exit-Strategie ermöglicht es auch jedem Verirrten, aus der Nazi-Szene wieder auszusteigen (http://www.exit-deutschland.de/)

Was aber gar nicht geht, sich per intellektueller Leistung die deutsche Geschichte schön reden zu wollen bzw neonazistische Umtriebe zu verharmlosen oder durch pseudo-political-correctness "Man darf die Neonazis doch nicht ausgrenzen, man muss das doch aushalten können" ein Toleranzgebot für Intolerante auszusprechen.

Neofaschismus ist eben nicht irgendeine Weltanschauung, die vom Grundgesetz geschützt wäre. Gewalt, menschenverachtende Ausgrenzung und Vernichtung anderer Gruppen, z.B. von Behinderten, Homosexuellen usw. sind integraler Bestandteil der faschistischen Ideologie. Faschistische und Neofaschistische Organisationen sind von ihrem Wesen her immer  undemokratisch.

In einigen Orten im Kreis Stormarn sind rechtsextreme Aktivitäten in der Öffentlichkeit, im Jugendzentrum und in den Schulen bekannt geworden. Dem Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus des Landes Schleswig-Holstein wurde deshalb vom Kreis der Auftrag erteilt, für Mittel- und Nordstormarn eine Regionalanalyse durchzuführen. Diese wurde am 6. Februar im Jugendhilfeausschuss des Kreises vorgestellt.
Alle anwesenden Politiker jeglicher Couleur waren über diese Ergebnisse sehr erschrocken. Ich hoffe, diese Erfahrung wird die CDU davon abhalten, wieder - wie vor einem Jahr -  im Kreistag eine Resolution zu verhindern, die zur Unterstützung der Anti-Nazi-Demonstration am 31.3.in Lübeck aufrufen will.

Wer im Internet auf die Seiten der Autonomen Nationalsozialisten Stormarns ANS geht, wird übrigens einen ganz andere Reaktion zuroben erwähnten Kreistagsausschusssitzung lesen: „Viele etablierte Politiker des Kreises schockten, als sie hörten das ausgerechnet Jugendliche versuchen dieses verlogene System zu ändern und die Volksverräter aus ihren Palästen, jenseits der Realität zu jagen!“
Dass die deutsche Rechte die deutsche Rechtschreibung misshandelt, ist hier übrigens nicht der Hauptpunkt. Der Punkt ist: Reden so Demokraten? Reden so Menschen, die Ausgrenzung vermeiden wollen? Volkvertreter werden umdefiniert zu Volksverrätern! Das hatten wir schon einmal in der deutschen Geschichte - vor 1933! Wehret den Anfängen!

 

Hartmut Jokisch

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